"Willkommen im Exil"
Tänzerisch triumphierend schwebt die junge Frau über aufflatternde Klaviertasten den beifallklatschenden Händen entgegen. Doch der Karrieretraum ist ausgeträumt. Die jüdische Pianistin Ilse Wunsch ist mit knapper Not den Nazis entkommen und muss dankbar sein für das nackte Überleben in den USA. Ihre Mutter konnte nicht mehr nachkommen und wurde ermordet. Ein Flüchtlingsschicksal aus der Zeit, als viele nicht nach Deutschland, sondern aus Deutschland fliehen mussten, hat die Malerin Christine Rieck-Sonntag in ihrem Zyklus "Willkommen im Exil" gezeichnet.
Ein Einzelfall? Jeder Flüchtling ist ein Einzelfall - heute wie damals. Schwarz wie die Angst ist der Tuschestrich, der mit expressivem Gestus die Lebensstationen der verstorbenen Freundin dem Vergessenwerden entreißt.
Die Farben des Lebens aber, die aus der Schwärze hervorleuchten, stammen von den Blättern des New Yorker Telefonbuchs, auf die Christine Rieck-Sonntag ihre Erinnerungsarbeit aufgezeichnet hat. In New York hatte sie Ilse kennengelernt, und die schwarzen Tuschelinien kommen ihr vor wie Telefondrähte über den Atlantik, über die Ilse bis zu ihrem Tod mit ihr in Verbindung blieb.
Der Zyklus ist eine bewegende Huldigung an den Überlebensmut der Verfolgten und Verjagten. Ilse Wunsch hatte Glück im Unglück und konnte sich nach schweren Schicksalsschlägen ein neues Leben aufbauen. Was aber, fragt sich die Malerin, wird aus den zahllosen Flüchtlingen in den heutigen überbelegten Aufnahmelagern werden?