Zum Zyklus "Lili Marleen"
Er steht an der Mole, dort wo die Segelboote liegen. Leise hör ich ihn auf der Ziehharmonika spielen. Die Töne ziehen hinaus übers Haff. Die See liegt ruhig, bleisilbern in der Sonne. Drüben am Ufer von Usedom wird die Melodie verflattern, ins Meer fallen. Ganz sacht, in den Baumschatten sinken, kurz vor dem Hügel mit den zugeschütteten U-Boot-Bunkern. "Ein Schiff wird kom-men…" spielt er, und manche Töne gleiten seitwärts übers Wasser bis Polen. "...die Sehnsucht mancher Nacht…" Polen, das ist nicht weit, der Reiher dort auf der Schilfinsel nistet schon drüben. Peenemünde ist auch nicht weit. Die ganze Geschichte hockt hier im Schilf. "Die Legion Condor übte hier Wassern, draußen im Haff auf dem Trendel," erzählte der Kapitän. "Deshalb wurde es Sperrgebiet. Ganz Altwarp wurde umgesiedelt ans andere Ufer. Dann schnitt der Frieden das andere Ufer ab. Hier Deutschland, also DDR, drüben Polen. - Und nach der Wende fuhr ich Butterschiffe, aber jetzt ist alles EU, heut mach ich Tourismus".
"Blaue Nacht, o blaue Nacht am Hafen...", tönt es von der Mole. Und zwischen den Booten gluckst es leise. Lieber Lale Andersen, Schlager und Sehnsucht nach dem Liebsten, als an die Radwege denken, die ich dann heimfahren muß. Platte an Platte. Breit genug für einen Jeep? Waren das Melderstraßen? Guter Wehrmachtsbeton. Überall Kasernen im Hinterland, Truppenübungsplätze. Immer gleich weiterbenützt. Immer weiter. Wie weit ist’s in die Ukraine? Nach Gaza? "Hey, spiel weiter, bitte spiel mal "Ich war nur ein Mädchen vom Hafen…", ich muß meinen Kopf leerkriegen! Oder spiel mir die Lili Marleen, paßt doch. "Unser beider Schatten sah’n wie einer aus … wenn wir bei der Laterne steh’n, wie einst Lili Marleen…" Aber er hört nicht. Steht stumm da. Steht einfach nur rum an der Mole und lächelt. Er ist aus Bronze.
